Historie

Diese Seite widmet sich der Ideengeschichte der Forensischen Psychiatrie, insbesondere bedeutenden Fachvertretern.

Der forensische Psychiater Prof. Wilfried Rasch (1925 – 2000)

Von Stefan Orlob

Zusammenfassung

Wilfried Rasch gilt als Nestor der Forensischen Psychiatrie im deutschsprachigen Raum, er prägte sein Fach bis zu seinem Tode am 22.09.2000.

Am 27.08.1925 wurde Wilfried Rasch in Peine geboren, wo er nur bis zum 3. Lebensjahr lebte. Die Familie verzog nach Berlin, wo seine Eltern eine ab 1928 eine Einrichtung für sozial entgleiste Jugendliche leitete. Er hatte täglich Kontakt mit den Insassen und lernte soziales Verständnis. Hier dürften die Wurzeln für seine spätere forensisch-psychiatrische Tätigkeit gelegt worden sein.

Rasch besuchte in Berlin das Gymnasium “Zum Grauen Kloster” und wurde mit 17 Jahren zur Wehrmacht einberufen. Während der Kriegsgefangenschaft in England konnte er sein Abitur ablegen und begann nach der Rückkehr nach Deutschland bereits 1948/49 das Medizinstudium in Göttignen. 1951 wechselte er nach Hamburg, wo er mit einer wahrnehmungspsychologischen Arbeit promovierte.

Nach dem Medizinstudium war er unter anderem an der Psychiatrischen Universitätsklinik Eppendorf in Hamburg bei Prof. Bürger-Prinz und an der Universität Köln tätig. Zahlreiche Veröffentlichungen sowie umfangreiche Gutachtertätigkeiten haben ihn über die Fachkreise hinaus bekannt gemacht. Mit seiner Habilitationsschrift “Tötung des Intimpartners” (1964 beim Enke-Verlag in Stuttgart) hat er Rechtsgeschichte geschrieben und die Forensische Psychiatrie im deutschsprachigen Raum nachhaltig verändert. Gleiches gilt auch für sein 1984 beim gleichen Verlag erstmals erschienen Lehrbuch “Forensische Psychiatrie”, welches in überarbeiteter Auflage von ihm 1999 nochmals aufgelegt wurde.

Wilfried Rasch empfand sich immer als Mittler zwischen der klinischen und juristischen Praxis. Er versuchte, die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Jurisprudenz und Psychowissenschaftlern zu überwinden. Daran hinderten ihn auch nicht heftige Widerstände der lange restriktiven Rechtsprechung und der noch unter dem Einfluss von Kurt Schneider stehenden mehrheitlich somatisch-orientierten Forensischen Psychiatrie. Er zählte zeitlebens zu den renommiertesten Gutachtern Deutschlands und stand in Verfahren, wie dem gegen den Knabenmörder Jürgen Bartsch (sogenannter “Kirmesmörder”) oft im Interesse der Öffentlichkeit. Gleiches galt auch für seine spätere gutachterliche Tätigkeit in den Verfahren gegen RAF-Terroristen. Sein Ansehen und seine Popularität beruhten auf der Qualität seiner Gutachten und seiner wissenschaftlichen Arbeit. Mit aller Sorgfalt war er aber auch immer bedacht, gegenüber der Justiz unabhängig zu bleiben.

Über 20 Jahre (1971 -1993) leitete Rasch die Lehre und Forschung an seinem Institut für Forensische Psychiatrie an der Freien Universität zu Berlin. Sein besonderes Interesse galt insbesondere der Erforschung des komplexen Zusammenhangs und Zusammenspiels von biographischen und situativen Faktoren im Moment der Straftat. Dabei prägte er auch seinen unverwechselbaren sozio-strukturellen Krankheitsbegriff. Die Ausprägung einer psychischen Störung sind diesem folgend an ihren sozialen Folgen und dem Verlust von Fähigkeiten erkennbar. Dies half ihm bei der oftmals schwierigen Trennung zwischen psychisch krank oder gesund und der straftatbezogenen Wertung. Seine Erfahrungen flossen innerhalb von Expertenanhörungen in die Überarbeitung des bundesdeutschen Strafgesetzbuches und Strafvollzuggesetzes ein.

Obwohl er niemals in einer Maßregelvollzugs- oder Strafvollzugsanstalt tätig war, fühlte er sich auch stets der therapeutischen Seite unseres Faches verpflichtet. Maßgeblich gestaltete er ab 1974 die Dürener Sozialtherapeutische Anstalt, ein Modell für zahlreiche ähnliche Einrichtungen in der gesamten Bundesrepublik. Gleichsam war er lange Jahre Berater der Nordrhein-Westfälischen Maßregelvollzugseinrichtung in Eickelborn. Hier gab er Anregungen zur Umstrukturierung in eine tatsächliche Therapieeinrichtung, aber auch durch Vorgabe verlässlicher Kriterien für die Erstellung einer täterbezogenen Kriminalprognose. Er initiierte mit der ehemaligen Leiterin Vera Schuhmann ebenfalls eine praxisbezogene Begleitforschung.

Nach der Wiedervereinigung 1990 galt sein Interesse auch dem Aufbau der Maßregelvollzugseinrichtungen in den neuen Bundesländern. So besuchte er, nach 1992, mehrmals unsere Stralsunder Einrichtung und gab Hinweise zu deren Reformierung und Weiterentwicklung. Bedenklich fand er hierbei in typischer Weise Tendenzen zur Privatisierung des Maßregelvollzuges, da er einen Eingriff in die Grundrechte der Patienten befürchtete, wenn freiheitsentziehende Maßnahmen (im Gegensatz zur grundgesetzlichen Vorgabe) nicht mehr durch Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes bzw. Beamte wahrgenommen werden.

Auch nach seiner Emeritierung war Rasch weiterhin engagiert tätig. Hervorzuheben ist hierbei seine Arbeit als Weiterbildungsmentor für den gutachterlichen Nachwuchs an der Psychiatrieakademie Königslutter. Hier führte er mit der Psychologin Professor Rohde und dem Juristen Vors. Richter a. LG Frankfurt/M Balzer ein Gutachterseminar durch, welches seinem Leitgedanken der Verständigung zwischen Jurisprudenz, forensischer Psychiatrie sowie forensischer Psychologie nochmals nachhaltig Rechnung trug. Exemplarisch ist dem Autor noch sehr gut ein Begebenheit erinnerlich. Nach einer heftigen kontroversen Diskussion über einen vorgestellten Fall eines Exhibitionisten und der Erörterung möglichen strafrechtlichen Konsequenzen, sagte Rasch: ”Das ist doch aber eigentlich eine in seinen Zwängen gefangene, armselige Kreatur”. Dies kann wohl als Quintessenz seines Lebens gelten - der Versuch des Verstehens der Zerrissenheit und Anfälligkeit des Menschen unter Berücksichtigung seiner konkreten Biographie und seiner sozialen Situation.

Literatur:
Rasch W (1964): Tötung des Intimpartners. Enke: Stuttgart.
Rasch W (1999): Forensische Psychiatrie. Kohlhammer: Stuttgart, 2. Aufl.